Kirche mit Pfarrhaus in Poing
2011
Die Sonne scheint in mein Kinderzimmer und hat mich geweckt. Heute ist es endlich soweit. Heute wird meine kleine Schwester in der neuen Kirche getauft. Draußen ist es noch ganz ruhig, nur die Vöglein zwitschern fröhlich im Garten. Es ist ein warmer Frühsommertag im Juni. Schnell ziehe ich mir die bereitgelegte kurze Lederhose und das blauweiß karierte Hemd an, bürste mir schnell über die blonden Locken und renne dann runter an den gedeckten Frühstückstisch. Wie hübsch meine kleine Schwester aussieht in ihrem weißen Kleidchen mit den rosa Rüschchen. Alle sind schon ganz aufgeregt und können es kaum erwarten, dass es losgeht. Wir laufen zu Fuß die Straße hinunter. Schon von weitem sieht man den Kirchturm. Wie hoch der ist. Man sieht ihn wirklich aus allen Richtungen. Vater sagt, er ist prägnant und sehr charaktervoll. Er muss es ja wissen, er ist schließlich ein Architekt. Jetzt ist es nicht mehr weit. Gleich kommen wir an dem kleinen Weiher vorbei. Da ist sie ja. Unsere neue Kirche. Und wie schön weiß sie im Morgenlicht leuchtet. Sie sieht fast aus wie ein stolzer Schwan. Vater sagt immer, sie hätte die Leichtigkeit und Heiterkeit einer bayrischen Barockkirche, nur in einer modernen Form. Mich erinnert die Kirche auch immer ein bisschen an einen Schneckenhaus. Mein Vater würde sagen: „Wie elegant und leicht die Säulen in Weißbeton vom Eingang her langsam zur geschlossen Wandscheibe werden und dann mit Schwung in den Himmel streben“. Dass die Abstände der Säulen immer enger werden, habe ich auch schon bemerkt. Sehr schön finde ich auch, wenn abends das Licht wie goldene Strahlen von innen nach außen scheint. Das sieht dann fast aus wie im Märchen. Mutter meint immer dazu, es erinnert sie die leuchtende Krone vom Bildnis der Jungfrau Maria. Jetzt kann man schon die Leute in der Kirche sehen. Am Fenster steht mein Freund der Max und winkt. Er hat sich zur Feier des Tages ganz fein gemacht. Mein Vater freut sich immer, wenn er in die Kirche geht. Dann schwärmt er über: „Die Offenheit und Transparenz der Kirche und die einladende Geste zum Kirchplatz hin. Das indirekte Nordlicht dringt tief über die schmalen, vertikalen Fensteröffnungen in den Baukörper hinein und schafft eine sehr helle und freundliche Atmosphäre im Inneren“. Mir gefällt es, wenn man auch mal von innen nach außen gucken kann. So jetzt sind wir da. Mit meiner Hand berühre ich die hohe weiße Wand. Viele kleine Quarzsteine funkeln und glitzern in der Sonne. Vater meint: Das haben die Architekten mit Absicht gemacht. Damit wirkt die Kirche edel und erhaben“. Die großen Türen des Eingangs stehen weit offen. Innen ist es ganz ruhig. Alle flüstern nur miteinander. Es riecht nach Weihrauch und Myrre. Langsam wird die Decke immer höher. Mein Vater sagte mir, der Architekt wollte den Eintritt in die Kirche inszenieren: „Der Raum weitet sich langsam zum eigentlichen Kirchenraum mit dem von oben belichteten Altar in der Mitte. Der leichte Schwung der Wände begleitet die Gläubigen in das Innere des Gotteshauses. Sie vermitteln durch Ihre sanfte Form Ruhe und Geborgenheit“. Der Altar steht auf einem Podest, damit man den Pfarrer besser sehen kann. Man kann auch oben sitzen und nach unten schauen. Heute dürfen wir aber ganz vorne sitzen. Die Ministranten erscheinen mit Kerzen in den Händen. Auf die Orgel fällt ein Sonnenstahl und sie leuchtet golden wie ein Engel. Gleich geht der Gottesdienst los. Alle meine Verwandten sind gekommen. Ich bin mächtig stolz. Oben im Turm läuten die Glocken. Wenn ich groß bin, werde ich auch einmal Architekt.
Platzierung:
2. Wertungsrundgang
Verfahren:
Beschränkter Realisierungswettbewerb
Auslober:
Kirchenstiftung St. Michael
Mitarbeit:
Susanne Wittber
Lars Wobar
Eva Hoffmann